Woher kommt der Zweifel?

Es gibt immer wieder mal Umfrageergebnisse, egal von wem die jeweilige Meinung abgefragt wurde, bei denen bekommt man so ein nervös zuckendes Augenlid, oder ein Kribbeln im Magen. Weil man sich das Zustandekommen des konkreten Ergebnisses nicht erklären kann und es diametral dem eigenen Empfinden widerspricht. Die in diesem Artikel angesprochene Umfrage der ARD ist so ein Beispiel. Weniger die Zufriedenheit mit der Regierungsarbeit irritiert hier, sondern die Ergebnisse zu außenpolitischen Themenkomplexen wie dem Ukraine-Konflikt  oder dem Nahost-Konflikt. Auf ein interessantes Detail wies ein Kommentator hin: während sich die angerufenen Telefonnummern bei der ARD-Umfrage auf 70% Festnetz- und 30% Mobilanschlüsse verteilten, ist dieses Verhältnis in der Realität genau umgedreht. Die Umfrage ist also nicht als repräsentativ zu bezeichnen, je nachdem, was man darunter versteht. Ist das nur eine handwerkliche Fehlleistung?

Der seltsame Fall des Barrett Brown

Autor: Peter Ludlow – veröffentlicht: 18.Juni 2013 bei The Nation

(übersetzt und veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung seitens The Nation)

Inmitten der Empörung über das Überwachungsprogramm der NSA, deutet die Verurteilung des Journalisten Barrett Brown auf ein tieferes und viel verstörenderes Problem hin.

Zu Beginn des Jahres 2010 arbeitete Barrett Brown an einem Buch über politische Publizisten, als das Hacktivisten-Kollektiv Anonymous seine Aufmerksamkeit fesselte. Er begann bald damit über dessen Aktivitäten und Potential zu schreiben. In einer Verteidigung der Anti-Zensurmaßnahmen der Gruppe in Australien schrieb Brown in einem am 10. Februar veröffentlichtem Artikel: Ich bin mir jetzt sicher, dass dieses Phänomen eines der wichtigsten und unter-repräsentiertesten unter den sozialen Bewegungen seit Jahrzehnten ist, und dass die betreffende Entwicklung verspricht die Institution des Nationalstaates anzugreifen und sie vielleicht auch eines Tages als weltweit grundlegende und relevante Methode der menschlichen Organisation zu ersetzen.

Zu diesem Zeitpunkt wurde Brown von seinen Fans bereits als der Hunter S. Thompson seiner Generation angesehen. Tatsächlich war er nicht wie Hunter S. Thompson, sondern hatte mehr von einem Wiedergänger aus früheren Zeiten – ein scharfsinniger, respektloser Journalist und Satiriker vom Schlage eines Ambrose Bierce oder einer Dorothy Parker. Seine scharfe Zunge wurde in dem von ihm mitgeschriebenen und 2007 veröffentlichten Buch „Flock of Dodos: Behind Modern Creationism, Intelligent Design and the Easter Bunny“ [etwa: Die Trottelherde – Hintergründe des modernen Kreationismus, Intelligentes Design und der Osterhase] deutlich, in dem er schrieb: Das wird kein höfliches Buch. Höflichkeit ist bei den Unredlichen nicht angebracht, die immer den Vorteil des gutmeinenden Entgegenkommens ausnutzen.

Aber es war nicht Browns scharfe Zunge, ebenso wenig seine Liebe zu Details (und die Fähigkeit diese Details zu organisieren und zu erklären), die ihm letztlich Ärger einbringen würden. Als er sein Buch über die Publizisten zugunsten eines Buches über Anonymous aufgab, konnte er nicht ahnen, dass das Eintauchen in die Welt der Hacker und Leaks ihn letztendlich mit der Aussicht konfrontieren würde, den Rest seines Lebens im Gefängnis zu verbringen. Im Licht der wie eine Bombe einschlagenden Enthüllungen zur geheimdienstlichen und privaten Spionage, die von Glenn Greenwald und Barton Gellman veröffentlicht wurden, ist Browns Fall eine gute – aber lückenhaft dokumentierte – Erinnerung zu den erheblichen Risiken, mit denen Journalisten konfrontiert werden, wenn sie über Lecks [Anm.: Lecks und Leaks im weiteren Text mit gleicher Bedeutung] berichten.

Im Februar 2011, ein Jahr nachdem Brown seine Verteidigung von Anonymous verfasste und vor dem Hintergrund der Aktionenen während des Arabischen Frühlings, behauptete Aaron Barr, Chef des privaten Nachrichtendienstes HBGary, dass er die Anführer der Hacktivisten identifiziert hatte. (Tatsächlich hatte er nur die Pseudonyme einiger Mitglieder). Barrs Angeberei provozierte einen unmittelbaren Angriff einer Anonymous nahestehenden Gruppe namens „Internet Feds“ (die bald ihren Namen in „LulzSec“ ändern würde) auf HBGary . Sensationell genug um die Aufmerksamkeit von „The Colbert Report“ anzuziehen, entstellte und zerstörte der Hack Webseiten und Server, die HBGary gehörten. Reichlich 70.000 Firmen-Emails wurden runter geladen und online gestellt. In der finalen Stufe der Verhöhnung wurde sogar der Inhalt von Arron Barrs iPad aus der Ferne gelöscht.

Der HBGary-Hack mag zur Demütigung der Firma gedacht gewesen sein, hatte allerdings den zusätzlichen Effekt, dass eine Goldmine von Informationen in Browns Schoss fiel. Eines der ersten Dinge, die er entdeckte, war ein Plan zur Neutralisierung von Glenn Grennwalds Verteidigung von Wikileaks mittels Untergrabung beider Seiten. („Ohne die Unterstützung von Leuten wie Glenn würde Wikileaks in sich zusammenfallen“ war auf einer Folie zu lesen.) Der Plan sah vor, mittels „Falschinformationen“ Zwietracht innerhalb der Organisation auszunutzen und offene Rivalität zu schüren – „erzeugen von Nachrichten zu Aktionen, um die gegnerische Organisation zu sabotieren und zu diskreditieren“, ebenso wie ein Plan, um falsche Dokumente einzureichen und dann die Fehler bekannt zu machen. Greenwald, so wurde argumentiert, würde „unter Druck professionelle Zurückhaltung statt Anlass wählen“ [professional preservation over cause].

Andere Pläne zielten auf soziale Organisationen und Interessenvertretungen. Unabhängig vom Plan, der Greenwald und Wikileaks zum Ziel hatte, war HBGary Teil eines Konsortiums, dass einen Entwurf zur Entwicklung eines „Persona Management“-Systems für die US Air Force eingereicht hatte, dass einem einzelnen Anwender erlauben würde, mehrere Online-Identitäten in sozialen Medien zu kontrollieren, um den Eindruck der Unterstützung von Graswurzelbewegung oder der Opposition zu einer bestimmten Politik zu erzeugen.

Der Datenberg aus dem HBGary-Hack war so riesig, dass keine einzelne Person ihn allein durchsehen konnte. So entschied sich Brown, den Aufwand zu ‚crowdsourcen‚. Er erstellte eine Wiki-Seite, nannte sie ProjectPM und lud andere investigative Journalisten zur Teilnahme ein. Unter Browns Leitung begann die Initiative langsam das Netz an Verbindungen von US-Regierung, Firmen, Lobbyisten und dunklen Gruppen privater Militär- und Informationssicherheitsberater zu entwirren.

Eine Verbindung existierte zwischen der Bank of America [BoA] und der Chamber of Commerce [CoC, Handelskammer]. Wikileaks hatte behauptet einen großen Stapel an Dokumenten zu besitzen, die der Bank of America gehörten. Beunruhigt darüber, kontaktierte die BoA das US-Justizministerium [DoJ]. Das DoJ verwies sie an die Rechts- und Beratungskanzlei Hunton and Williams, welche Rechtsvertretung für Wells Fargo und General Dynamics ist und auch als Lobbyist für, neben vielen anderen Firmen, Koch Industries, Americans for Affordable Climate Policy, die Gas Processors Association und Entergy tätig ist. Das DoJ empfahl, dass die BoA die Kanzlei Hunton and Williams beauftragen sollte, speziell empfahl sie Richard Wyatt als Kontaktperson. Wyatt war als leitender Anwalt im Gerichtsverfahren der Chamber of Commerce [CoC] gegen die Yes Men bekannt geworden.

Im November 2010 organisierte Hunton and Williams die Bildung des „Team Themis“, bestehend aus einer Zahl privater Nachrichtendienste, Technologieentwicklungs- und Sicherheitsfirmen – HBGary, Palantir Technologies, Berico Technologies und, nach Angaben von Brown, einer geheimnisvollen Firma mit dem Namen Endgame Systems – das griechische ‚themis‘ bedeutet so viel wie „göttliches Recht“. Seine Hauptaufgabe war die Diskreditierung von Kritikern der CoC, wie etwa „Chamber Watch“, unter Verwendung solcher Taktiken wie dem Erstellen „falscher Dokumente, etwa zur Hervorhebung regelmäßiger finanzieller Auskünfte“, der Herausgabe an progressive Gruppen, die der CoC kritisch gegenüberstehen, um darauf folgend die Dokumente als Fälschungen zu entlarven, um „zu beweisen, dass bei der Herausgabe von Informationen und/oder der Wahrheit der Chamber Watch nicht zu trauen ist“. Zusätzlich schlug die Gruppe vor, einen „falschen Insider“ zu schaffen, um Chamber Watch zu infiltrieren. Sie würden „zwei falsche Insider schaffen, um Einen wirksam zur Diskreditierung des Anderen zu nutzen, um so die Echtheit des Anderen zu bestätigen“. Die veröffentlichten Emails zeigten, dass eine gleichartige Desinformationskampagne gegen Wikileaks und Glenn Greenwald geplant gewesen war.

Es war Brown klar, dass dies Aktionen zweifelhafter Legalität waren, aber darüber hinaus waren es Unternehmen mit Regierungsauftrag, die versuchten die Redefreiheit der Amerikaner zu untergraben – mit offensichtlichem Segen des Justizministeriums. Eine Gruppe demokratischer Kongress-Abgeordneter beantragte eine Untersuchung dieser Organisation, blieb aber erfolglos.

Zum Juni 2011 hatte sich die Handlung weiter verdichtet. Das FBI hatte eine Spur zum Anführer von LulzSec, einem Hector Xavier Monsegur, der unter dem Pseudonym Sabu auftrat. Das FBI verhaftete ihn am 7. Juni 2011 und machte ihn, Gerichtsunterlagen zufolge, am nächsten Tag zum Informanten. Nur drei Tage vor seiner Verhaftung hatte Sabu eine zentrale Rolle bei der Bildung einer neuen Gruppierung namens AntiSec, die aus ehemaligen LulzSec-Mitgliedern bestand, wie auch aus Mitgliedern von Anonymous. Anfang Dezember hackte AntiSec die Webseite der privaten Sicherheitsfirma Stratfor Global Intelligence. An Heiligabend veröffentlichte die Gruppe eine Fundgrube von ca. 5 Millionen interner Firmen-Emails. AntiSec-Mitglied und Aktivist Jeremy Hammond aus Chicago bekannte sich zu diesem Angriff und sieht einer 10-jährigen Haftstrafe entgegen.

Die Inhalte des Stratfor-Lecks waren sogar noch empörender als die des HBGary-Hacks. Sie beinhalteten die Diskussion zu Möglichkeiten der illegalen Auslieferung und Tötung. Zum Beispiel schlug der Vizepräsident für den Bereich Nachrichtendienste von Stratfor, Fred Burton, in einem Video vor, Nutzen aus dem Chaos in Libyen zu ziehen und mit dem Lockerbie-Bomber Abdelbaset al-Megrahi abzurechnen [to render him], der aus familiären Gründe wegen seiner unheilbaren Krankheit aus dem Gefängnis entlassen worden war. Burton sagte, dass es ein „persönlicher“ Fall war. Eine Person verwies in einer Email darauf, dass so eine Aktion nahezu sicher illegal sei – „Dieser Mann hatte ein Gerichtsverfahren, wurde für schuldig befunden, verurteilt… und hat gesessen“ – ein anderer Stratfor-Mitarbeiter entgegnete, dass das gerade ein Argument für eine viel effizientere Lösung war: „Ein Grund mehr, ihn mit einer Hellfire auszuknipsen :-)“.

(Stratfor-Angestellte hatten außerdem ein lebhaftes Interesse an Jeremy Scahills Artikel über Blackwater in „The Nation“, kopierten und verteilten ganze Artikel, mit Kommentaren, die ein grundlegendes Interesse an der Frage nahe legten, ob Blackwater eine konkurrierende nachrichtendienstliche Abteilung aufbaute. Die Emails zeigten auch einen widerwilligen Respekt für Scahill: „Man kann Scahills Position (oder das Ergebnis seiner Arbeit) mögen oder nicht, er macht einen erstaunlichen Job beim Bloßstellen [von Blackwater].“)

Als die Inhalte des Stratfor-Lecks verfügbar wurden, entschied sich Brown dazu, ProjectPM darauf anzusetzen. Ein Link auf den Stratfor-Datenberg erschien in einem Chat-Kanal von Anonymous; Brown kopierte ihn und fügte ihn in einen nicht-öffentlichen Chat-Kanal von ProjectPM ein, um die Aufmerksamkeit der Mitstreiter darauf zu lenken.

Brown begann, sich Endgame Systems genauer anzuschauen, eine Firma für Informationssicherheit, die anscheinend speziell darauf bedacht war im Hintergrund zu bleiben. „Bitte macht HBGary deutlich, dass wir unseren Namen niemals in einer Pressemitteilung sehen wollen“, so der Inhalt einer der öffentlich gewordenen Emails. Eines ihrer Produkte, verfügbar gegen einen Jahresbeitrag von $2.5 Millionen, gab Kunden Zugang zu „zero-day exploits“ – Sicherheitslücken, die dem Software-Hersteller bislang unbekannt sind – für Computersysteme auf der ganzen Welt. Das Magazin Business Week veröffentlichte 2011 einen Beitrag zu Endgame, der beschrieb: „Endgame Manager werden Karten von Flughäfen, Parlamentsgebäuden und Firmengebäuden hervorbringen. Die Manager erstellen dann eine Liste von Computern, die im Inneren der Einrichtungen laufen, inklusive der darauf laufenden Software, und ein Menü der gegen diese Systeme einsetzbaren Attacken“. Für Brown stellte sich die Frage, ob Endgame diese Exploits an ausländische Gegenspieler verkaufte und ob diese gegen Computersysteme in den Vereinigten Staaten eingesetzt wurden. Kurz danach fiel der Hammer.

Das FBI beantragte eine richterliche Anordnung für Browns Laptop, bekam damit die Befugnis zur Beschlagnahme aller Informationen im Zusammenhang mit HBGary, Endgame Systems, Anonymous und, am meisten absehbar, „Emails, Email-Kontakte, Chats, Logs von Direktnachrichten, Bilder und Schriftwechsel“. Mit anderen Worten, das FBI war auf seine Quellen aus.

Als das FBI mit dem Beschluss bei Brown auftauchte, befand sich dieser im Haus seiner Mutter. Die Agenten kamen mit einem Beschluss zur Durchsuchung des Hauses seiner Mutter zurück und bekamen seinen Laptop. Um den Druck auf Brown zu erhöhen, veranlasste das FBI Anklage gegen seine Mutter wegen Behinderung der Justiz, weil sie seinen Laptop im Haus versteckte. (Konfrontiert mit dem Tatvorwurf, bekannte sich seine Mutter, Karen McCutchin, am 22. März 2013 schuldig in einem Anklagepunkt, der Behinderung der Ausführung des Durchsuchungsbeschlusses. Sie sieht sich einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten gegenüber. Brown bestand darauf, dass sie nicht wusste, dass der Laptop in ihrem Haus war.)

Wie er selbst zugab, drehte Brown aufgrund der Aktion des FBI gegen seine Mutter durch. Im September 2012 lud er ein zusammenhangsloses Video bei youtube hoch, in welchem er erklärte, dass er wegen Heroinabhängigkeit in Behandlung gewesen war und das Medikament Suboxon eingenommen hatte, aber dieses abgesetzt hatte und unter Entzug litt. Er bedrohte den FBI-Agenten, der seine Mutter schikaniert hatte, persönlich und warnte:

„Ich weiss was legal ist, ich weiss was mir angetan wurde… Und wenn es legal ist, was mir angetan wurde, dann wird es auch legal sein, wenn es dem FBI-Agenten Robert Smith angetan wird – der ein Krimineller ist.“

„Daher ist das Leben des [FBI-Spezialagenten] Robert Smith vorbei. Und wenn ich sage, sein Leben ist vorbei, dann sage ich nicht, dass ich ihn töten werde, aber ich werde sein Leben ruinieren und mir seine verdammten Kinder vornehmen… Na, was hältst du davon? [How do you like them apples?]“

Das Narrativ in den Medien entgleiste umgehend. Es war nicht länger eine Geschichte über den geheimen Informations-Militär-Industriekomplex; jetzt war es eine schmutzige Geschichte über einen verrückten Drogenabhängigen, der einen FBI-Agenten und seine (erwachsenen) Kinder bedrohte. Wirkliche Gewaltandrohung gegen Agenten werden oft mit einigen Jahren Haft bestraft. Aber Browns Tätigkeiten machten es dem FBI einfacher, einen anderen Vorwand ins Spiel zu bringen, um ihn lebenslänglich wegzuschließen.

Die Stratfor-Daten enthielten eine Reihe unverschlüsselter Kreditkartennummern und Validierungscodes. Auf dieser Basis beschuldigte das DoJ Brown des Kreditkartenbetrugs wegen der Weitergabes des Links im Forum von ProjectPM. Genauer, das FBI klagte ihn wegen des Handels mit gestohlenen Kreditkartendaten, Zugangsgerätemissbrauchs und schweren Diebstahls von Personendaten an, weiterhin wegen Strafvereitelung (dafür, dass er bei der Zustellung des ursprünglichen Beschlusses im Haus seiner Mutter war [und nicht in seinem Haus]) und aufgrund der Drohungen gegen den FBI-Agenten. Insegesamt erwartet Brown ein Jahrhundert Gefängniszeit: 105 Jahre in einem Bundesgefängnis bei zusammenhängender Strafzeit. Eine Kaution wurde ihm verweigert.

In Anbetracht dessen, dass die Person, die den eigentlichen Stratfor-Hack durchgeführt hat, mehrere Vorstrafen hatte und ein Maximum von 10 Jahren erwartete, ist der unausweichliche Schluss der, dass das Problem nicht der Hack selbst, sondern Browns Berichterstattung war. Wie Glenn Greenwald im Guardian anmerkte: „Es ist nahezu unmöglich zu dem Schluss zu kommen, dass die unverschämt überzogene Anklage, der er sich stellen muss, nichts mit der Berichterstattung oder dem damit verbundenem Aktivismus zu tun hat.“

Mittlerweile ist Brown im Gefängnis und ProjectPM befindet sich unter verstärkter Kontrolle seitens des DoJ, obwohl dessen Arbeit zum Stillstand gekommen ist. Im März erzwang das DoJ unter Strafandrohung gegen den Hostingprovider CloudFlare eine Herausgabe aller Daten zur ProjectPM-Webseite und im Speziellen erzwang es eine Preisgabe der IP-Adressen von jedem, der Zugang zu ProjectPM hatte und daran mitgearbeitet hat, mit der Beschreibung, dass es ein „Forum“ ist, dass Brown und Andere nutzen, um „sich beim Begehen einer Straftat online zu beteiligen, zu unterstützen oder es zu ermöglichen.“ Die Nachricht war klar: Jeder andere, der sich mit diesem Sachverhalt beschäftigt, geht ein erhebliches Risiko ein.

Einige Journalisten sind jetzt verständlicherweise besorgt, sich den Stratfor-Daten zu nähern. Die allgemeinen Auswirkungen gehen viel weiter als bis zu Brown; man mag denken, dass wir auf Cointelpro 2.0 schauen – ein ausgelagerter Überwachungsstaat – tatsächlich ist es viel schlimmer. Man kommt nicht umhin daraus zu folgern, dass das US-Justizministerium nur ein weiterer Auftragsnehmer für Sicherheit geworden ist, Seite an Seite mit den HBGarys und Stratfors im Auftrag der kommerziellen Interessenten, ohne jegliches Gespür für die Rechtmäßigkeit ihrer Aktionen; sie arbeiten für den Schutz der Konzerne und der privaten Sicherheitsdienstleister, gegen die normalen Bürger und deren Interessenvertretungen. Die schiere Tatsache, dass der Leiter für Cyber-Sicherheit des FBI erst kürzlich zu Hunton and Williams wechselte, zeigt, wie inzestös diese Beziehung geworden ist. Zwischenzeitlich verwendet das DoJ seine Macht auch dazu, auf den Rechten normaler Bürger wie Barrett Brown herumzutrampeln, die Licht auf diese schändlichen Beziehungen werfen wollen. Um diejenigen zu neutralisieren, die das System hinterfragen oder untersuchen, werden Gesetze re-interpretiert oder ausgedehnt oder andererseits in einer Weise unterschlagen, die lächerlich ist – oder lächerlich wäre, wenn die Konsequenzen nicht so furchtbar sein würden.

Während die Medien und der Großteil der Welt aufgrund der Enthüllungen zu den Spionageprogrammen der NSA verständlicherweise entrüstet ist, war Barrett Browns Arbeit das Aufzeigen des viel tiefer liegenden Problems. Es ist kein Problem der Art, das sich mit dem Ändern einiger Gesetze oder der Absetzung einiger Staatsanwälte reparieren lässt. Es ist kein Problem schlechter Gesetze oder schlechter Staatsanwälte. Was der Fall Barrett Brown aufdeckt ist, dass wir mit einem gänzlich anderem Problem konfrontiert sind. Es ist ein systematisches Problem. Es ist das Versagen der Rechtsstaatlichkeit.

[update 1.7.13: Korrekturen eingepflegt]

[Disclaimer: ich bin kein ausgebildeter Übersetzer; der Text enthält sicher den ein oder anderen Fehler, daher bitte ich um Nachsicht; Korrekturvorschläge nehme ich gerne an]

Floskelwerfer bei den Gruenen

Nein, ich hab nichts anderes erwartet als das übliche Umherwerfen von Floskeln, dass Herr Spitz von den Gruenen hier veranstaltet. Warum auch? Die Partei gehört zum politischem Establishment, insofern werden Äußerungen zur aktuellen PRISM-Diskussion aus dieser Ecke keinen Neuheitswert oder gar Überraschendes beinhalten. Die Forderungen zur Behebung des Zustandes sind ebenfalls absehbar, es müsste eine „öffentliche Debatte“ geben, eine „bessere Kontrolle der Geheimdienste“, bla bla bla. Und der Gedankengang mit den politischen Auswirkungen, wenn der „Geheimnisverräter“ ein Chinese gewesen wäre, wurde an anderer Stelle schon besser verdeutlicht.

Dann noch die übliche Reihe an Floskeln zur Rechtsstaatlichkeit der USA, zum pöhsen, pressefeindlichen Ecuador und so weiter. Vertane Zeit. Besser, weil weiter, sind zum Beispiel Don Alphonso oder Johnny.

 

Nocht nicht ganz fertig

Mal von der Person Assange abgesehen und auch von den Vorwürfen in Schweden: wenn Manning und Assange mit wikileaks derartig vielen Leuten in diplomatischen Kreisen, beim US-Militär und der US-Administration an’s Bein gepinkelt haben, sie vor der Weltöffentlichkeit als lächerlich bzw. als brutale Kriegsmacht bloßgestellt haben, die sie ist, dann wird es unter den betroffenen Parteien einen Konsens geben:

  1. das darf nicht nochmal passieren,
  2. wikileaks muss zerschlagen werden bzw. zumindest soweit entkräftet werden, dass nie wieder jemand an die Plattform heran tritt, um Dokumente zu veröffentlichen
  3. Nachahmer sollten wissen, auf was sie sich vorbereiten müssen

wikileaks wurde der Geldhahn zugedreht, die beteiligten Personen sind zerstritten und als Einzelkämpfer schwächer, Assange steht als gestörter Egozentriker und möglicher Vergewaltiger in der Öffentlichkeit. Wenn ich mir eine Strategie hätte ausdenken müssen, um die Punkte des Konsens von oben zu erreichen, dann würde sie genau so aussehen. Das für das Erreichen der Ziele der Strategie auch Hilfe von Dritten kam – geschenkt. Gute Beobachtung der Vorgänge war ausreichend, um Sollbruchstellen zu erkennen.

Aber ist eh nur ’ne wilde Verschwörungstheorie, nichwahr?

 

Immer extremer?

Einen meiner Ansicht nach recht interessanten Kommentar in Sachen Urheberrecht hat ein Leser bei heise zum Artikel über die Verurteilung des Betreibers von surfthechannel.com gepostet. Er hat die Position und Rechte von Urhebern bzw. Erfindern verglichen und sein Schluss daraus ist, dass das Urheberrecht in einer Extremsituation ist.

Ein Auszug seiner insgesamt 36 Punkte:

1) Beschränkung nicht auf maximal 20 Jahre ab  Anmeldung sondern genau (nicht maximal) 70, in Mexiko sogar 100 Jahre bis nach dem Tod des Urhebers; bei Firmen 95 Jahre ab erster Nutzung.
2) Keine Anmeldung und damit keine Anmeldegebühr.
3) Keine Prüfung, keine Recherche und damit weder Prüfungsgebühr noch Recherchegebühr.
4) Keine Registrierung in öffentlich und kostenlos  zugänglichen Datenbanken, die rechtsverbindlich sind.
5) Keine Gebühren für Erteilung und Verlängerung (Jahresgebühr).
6) Kein Territorialitätsprinzip: Keine Beschränkung auf die Länder, in denen angemeldet und zugelassen wurde.
7) Erhebliche Pauschalabgaben auf vieles, was zum Kopieren verwendet werden kann.

Natürlich muss man nicht in allem mit dem übereinstimmen, Rechtsanwälte werden es auch viel differenzierter sehen und Fehler möchte ich auch nicht ausschließen (bzw. sehe ich darin auch einige… Ungenauigkeiten). Aber das ist eine sehr gute Grundlage für Diskussionen.

Sind denn Patente bzw. ist denn die Position eines Erfinders mit der des Urhebers vergleichbar? In meinen Augen schon, da bei beiden ja eigentlich ein schöpferischer Vorgang der Ausgangspunkt ist. Aber was führt dann zu diesem Ungleichgewicht in der Behandlung?

Das Ergebnis des schöpferischen Vorgangs beim Erfinder ist ein greifbares Ding und dessen Kopieren mit mehr oder weniger großem Aufwand verbunden (wenn man mal von stumpfsinnigem Mist wie Softwarepatenten absieht). Das nicht greifbare Ergebnis beim Urheber ist in Zeiten des Computers und des Netzes ein leicht zu kopierendes Werk. Aber rechtfertigt das diese Ungleichbehandlung? Das ist doch aus diesem Blickwinkel nur an den Folgen des Missbrauchs gemessen.

…wird fortgesetzt

 

Den Grünen auf den Fersen?

Es gefällt mir sehr, wenn die Piraten dort auf Anhieb so einen Einschlag verursachen. Nach Berlin ist das schon die zweite Wahl mit einem Ergebnis, dass die ganzen eher in Richtung Spacken zu verortenden Leute zum Grübeln bringt. Hö? Piraten ist doch kein Name für eine seriöse Partei??! Wer wählt denn sowas?? Und die sehen alle so komisch aus, nich ma Krawatten tragen die!

Aber mich lässt der Gedanke nicht los, dass die Piraten den gleichen Weg wie die Grünen gehen werden, das der politische Alltag (der von den „etablierten“ Parteien handgeschnitzt und geprägt ist) sie ebenso abschleifen wird und das Aufmüpfige aus ihnen nimmt, wie bei der peppig lackierten Öko-FDP. Solange das ein Gegenpol zu den Hartärschen bei der CDU ist, solange unterstütze ich das.

(bäh! peppig, das klingt so wie… Sockenpanade)